Die Mauer – wenn du nicht mehr kämpfst
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Nichts hat sich verändert – und doch ist etwas anders.
Du schaust zum Himmel, atmest – und ein leiser Flug beginnt.
Nicht weg, nicht über. Einfach nur weiter innen.
Kennst du das Gefühl,
wenn du jahrelang gegen dieselbe Mauer rennst?
Nicht aus Dummheit.
Nicht aus Trotz.
Sondern weil du weißt, dass genau dort dein Weg weitergeht.
Weil du spürst, dass dahinter etwas auf dich wartet.
Etwas, das dich ständig ruft,
leise, eindringlich, unaufhörlich.
Und doch sagt man dir:
„Lass es los.“
„Es gibt andere Wege.“
„Du siehst einen Weg, wo keiner ist.“
„Die Mauer stand schon immer da, sie gehört da hin.“
Aber du spürst es.
Tief in dir.
Du kannst dich mit Umwegen zufrieden geben,
für einen Moment.
Aber nie für länger.
Denn jeder andere Weg ist nur ein kurzes Entladen.
Ein bisschen Linderung.
Doch keine Befreiung.
Keine Wahrheit.
Du rennst.
Wieder und wieder. Immer wieder.
Dagegen.
Mit Hoffnung. Mit Schmerz. Mit Liebe.
Mit Willen. Mit Glaube. Mit all deinem Mut.
Und jedes Mal prallst du gegen dasselbe kalte, harte Schweigen.
Eine Mauer, die weder spricht noch weicht.
Und doch ist da etwas:
Du spürst sie atmen.
Du hörst sie denken.
Du siehst sie fühlen
obwohl kein Wort fällt.
Nie.
Du analysierst sie zu Tode.
Bis ins kleinste Detail, ihre ganze Statik.
Du erkennst die Dynamiken.
Verstehst die Spannungen.
Siehst das Muster.
Und wo andere nur schwarzen Stein sehen
siehst du das Wundervolle.
Den Aufbau. Die Absicht.
Die Geschichte zwischen den Fugen.
Du suchst nach dem Spalt.
Dem Riss.
Der einen Stelle, an der sie weich wird.
Du lauschst dem Schweigen.
Zerlegst jedes Zucken.
Tastest jedes Zögern ab wie ein Code.
Und doch – bleibt sie einfach da.
Hart.
Kalt.
Verschlossen.
Wie ein Rätsel, das längst gelöst ist
aber sich weigert, die Lösung freizugeben.
In dir tobt das Kind,
das einfach nur geliebt werden will.
Das nicht begreift,
warum alles so schwer sein muss.
Warum Mauern bleiben
selbst wenn du alles gibst.
Und dann siehst du die anderen:
Die, die nicht suchen.
Nicht kämpfen.
Nicht fühlen
und trotzdem scheint alles zu funktionieren.
Das Kind versteht es nicht.
Nicht aus Neid.
Aus Schmerz.
Warum ich?
Warum tut es weh, selbst wenn ich alles richtig mache?
Und dann,
während du wieder anläufst,
während du rennst,
während du mit voller Wucht in dieselbe alte Mauer prallst
passiert es.
Nicht danach.
Nicht im Frieden.
Sondern mitten im Schmerz.
Ein Moment.
Roh. Echt. Unausweichlich.
Dein Herz schreit, dein Kopf wehrt sich, dein Körper bäumt sich auf
und plötzlich ist da dieser Klick.
Wie ein stilles Explodieren im Innern.
Kein großes Feuerwerk.
Nur ein Erkennen, das alles durchdringt.
Du hörst auf zu kämpfen,
nicht weil du aufgibst,
sondern weil du begreifst:
Es gibt nichts mehr zu beweisen.
Nichts mehr zu analysieren.
Nichts mehr zu wollen.
Nur noch sein.
Und während du noch fällst,
breiten sich deine Arme aus,
wie von selbst.
Nicht zum Schutz.
Sondern zur Hingabe.
Zur Freiheit.
Du brauchst kein Tor mehr.
Kein Schlüssel.
Keine Erklärung.
Denn du fliegst,
nicht davon,
sondern heim zu dir.
Und wer dich dort wirklich sieht,
wird erkennen,
dass du nie weg warst.
Nur endlich frei.